Farben finden den Raum | Gisela Götte

Clemens-Sels-Museum Neuss, 2007

Seit den 1980er Jahren hat das Clemens-Sels-Museum Gemälde und Arbeiten auf Papier erworben, in denen Farbe ein zentrales Moment von Bildlichkeit ist. Zu diesem, die Neusser Kunstsammlung des 19. und 20. Jahrhunderts in die Gegenwart führenden neuen Sammlungsschwerpunkt gehören Werke von Rupprecht Geiger, Dieter Villinger, Marcia Hafif, Ulrich Erben, Hermann de Vries, Jürgen Paatz, Phil Sims, Helmut Dirnaichner, Bernd Minnich, Michael Rögler, Tomoharu Murakami, Nabuko Sugai, Markus Linnenbrink, Jürgen Paatz, Katharina Grosse und andere mehr.

Die Konzeptuelle Farbmalerei kennt keine Verbindlichkeit der Terminologie, vielfältig sind die verwendeten Begriffe, die sich deren inhaltlicher Auslegbarkeit zu nähern versuchen: Radikale Malerei, Stille Malerei, Analytische Malerei, Bilder der Verweigerung, Bilder ohne Bilder lauten einige Bezeichnungen, unter denen eine jeweils andere Anmutung von Farbe wahrnehmbar wird. Die Künstlerinnen und Künstler, die sich dieser Malerei verschrieben haben, bilden keine Gruppe, wie etwa die Impressionisten oder Luministen, sondern sind allein unter Berufung auf die Thematisierung von Farbe programmatisch miteinander verbunden. Die konzeptuelle Eigenständigkeit der Positionen fordert vom Betrachter sinnliche Offenheit für die Farbe und deren Organisation im Bilde. Ein Drittes kommt im Fall der Rauminstallation von Ines Hock hinzu: die Wahrnehmung des Verhältnisses der Farbe zur Wand und zum Raum, welches die jeweils vorgegebene Innenarchitektur, wenn auch nur temporär, stets neu deutet.

Für das Foyer des Clemens-Sels-Museums entwarf Ines Hock ein 12teiliges Werk, das als ein horizontales, an drei Stellen unterbrochenes Farbband eine unverrückbare Beziehung zur Architektur eingeht. Der Eingangsbereich des von Harald Deilmann Mitte der 1960er Jahre entworfenen, jedoch erst 1975 fertiggestellten Museumsneubaus, mißt eine Höhe von nahezu fünf Metern. Eine breite Treppe, die zu den Schauräumen der ersten und zweiten Etage führt, mündet als ein Wandel- und Kommunikationsort für die Besucher in diesen Empfangs- und Ausstellungsbereich ein. Seine Wände aus weiß gestrichenem Sichtbeton sind nicht fortlaufend, sondern diskontinuierlich. Ein breites Wandstück, hinter dem sich eine vom Boden bis zur Decke reichende Fensterfront befindet, springt als ein freistehender, mit der Decke verbundener Block vor, ein schmaleres begrenzt das Auge des Treppenhauses und verbindet die drei Geschosse miteinander. Der indirekte Lichteinfall und die trotz der Raumhöhe als lastend empfundene Kassettendecke verleihen dem Eingangsbereich ein höhlenartiges Gepräge.

Dieser vorgefundenen Raumsituation und ihren Lichtverhältnissen Rechnung tragend, schuf Ines Hock chromatisch ausdifferenzierte Farbtafeln, die friesartig die obere Zone der Wände als lichthaltige Malerei überziehen. Die eigenwillige Hängung der aneinandergereihten Bildtafeln, die wie farbige Fenster Helligkeit einlassen, ziehen den Blick des Betrachters wie in einem gotischen Kirchenraum nach oben. Obgleich die Grenzen der einzelnen, sich berührenden Felder als Schattenkanten sichtbar bleiben, gleicht der Dekor einem breiten Fluß in Bewegung. Die Farben wandern, halten inne und setzen auf dem nächsten Wandstück wieder von neuem ein. Die so entstehenden Pausen in der Wahrnehmung können sich aber ebenso leicht, entsprechend dem wechselnden Standort des sich in Bewegung befindenden Betrachters, überspringen lassen. Mit dieser Farbgestaltung des Raumes erhält die Körperhaftigkeit und Schwere der Betonarchitektur eine ungewohnte Leichtigkeit, ohne jedoch ihren Eigencharakter zu verlieren. Das Foyer ist zu einem lichtvoll heiteren, farbigen Innenraum verwandelt, wobei der selbstständige Werkcharakter dieser dekorativen Wandgestaltung als freie Malerei erlebbar bleibt. Die zu den Seiten wie nach oben hin offene Struktur der Pinselzüge, die leuchtenden, richtungsverschieden aufgetragenen Farbbahnen bringen mit ihrer transparent anmutenden Helligkeit den Raum zum Schwingen. Die Farben werden zu gemaltem Licht und geben der Architektur eine neue, spirituelle Deutung. Der gleichsam manipulative Gehalt der Malerei bewirkt einen athmosphärischen Wechsel von der vorgefundenen dunklen Stimmung hin zu einer leuchtenden und vielfältigen Farbigkeit.

Mit dieser Individualisierung des Raumes durch die Künstlerin wird das Foyer für jeden Besucher gemäß seiner eigenen, subjektiven Wahrnehmung und Erlebnisfähigkeit neu erfahrbar. Als ein Ort des Aufenthaltes wie des Weges zugleich ist der Eingangsbereich zu einem neuen Lebensraum geworden. Das in ihm stattfindende Miteinander der Menschen gestaltet sich mit Sicherheit anders als zuvor.