Die Frage nach den Eigenschaften von Räumen für Kunst, beantwortete Ines Hock im vergangenen Jahr mit einer ausführlichen Beschreibung atmosphärischer Bedingungen, die der künstlerischen Arbeit entgegenkommen können. „Für den Künstler bedarf es einer Grundstruktur von Raum“, schrieb sie damals, „einem ‚fixierten‘ Rohbau, der nicht ablenkt. Trotzdem, den anonymen oder ‚objektiven‘ Raum gibt es nicht. Kein Raum ist ohne Eigencharakter, er nimmt durch seine Gegebenheiten Einfluß.“‚ Dieser dialektischen Einsicht geht eine intensive Analyse räumlicher Situationen voraus, die im Hinblick auf den Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit zunächst überraschen mag. Denn die Gemälde von Ines Hock kennzeichnet eine Abgeschlossenheit der Bildfläche, die sie von Raumbeziehungen weitgehend unabhängig, als sich nach innen öffnende Farbräume erscheinen läßt. Allerdings führt die Tatsache, daß sie sich maltechnisch auf keine spezifischen Standards festgelegt hat, zu einiger Irritation und verhindert eine gesicherte Einordnung im Spektrum zeitgenössischer Farbmalerei. Zu offensichtlich indifferent ist ihre Haltung bezüglich wesentlicher Details, die sich in ihren Werken von Bild zu Bild verschieden ausbilden können. Diese bewußte Verschiedenartigkeit vermitteln vor allem die unterschiedlichen Oberflächen ihrer Gemälde, deren Bandbreite vom nahezu schreibenden Auftrag horizontaler Pinselstriche, die eine gleichmäßig ruhige, samtige Struktur entwickeln, bis hin zu stark glänzenden Farbaufträgen reicht, in deren abschließender Haut Unregelmäßigkeiten des Leinwandgewebes punktuell hervortreten und schroffe Wechsel zu matt eingetrockneten Partien eine vergleichsweise dramatische Wirkung erzielen. Gemeinsam ist diesen Bildern ein formulierter Widerspruch zwischen der bildräumlichen Tiefenwirkung einer in vielen Lasuren gitterartig übereinander geschichteten Farbe und der den Betrachter auf sich zurückverweisenden, ihn „spiegelnden“ Oberfläche, die den Tiefenraum versiegelt und ein Eindringen erschwert. Die Bewegung, die diese Betrachtung erfordert, vollzieht sich vergleichbar dem Rußpartikel im flüssigen Wachs einer brennenden Kerze: Im Moment der größten Annäherung an das Zentrum bewirkt die thermische Strömung ein katapultartiges Entfernen davon, dem die erneute Annäherung folgt usw.. In diesem Phänomen mag man ein weiteres Beispiel dafür erkennen, daß die zeitgenössische Vorliebe der Künstler zu raumgreifenden Inszenierungen auf die Tafelmalerei nicht ohne Einfluß geblieben ist, denn die Beziehung eines Gemäldes zum Raum wird heutzutage wesentlich bewußter thematisiert als in früheren Generationen. Ines Hock läßt in der meist eigenwilligen Hängung ihrer Werke, die entfernt an Präsentationsformen russischer und niederländischer Konstruktivisten am Anfang der Zwanziger Jahre erinnert, erkennen, wie sehr sie ihre Malerei in der Abhängigkeit von den jeweiligen Gegebenheiten eines Raumes sieht, wie sehr sie mit den relativ kleinen Formaten ihrer Bilder einen räumlichen Kontext aufbauen möchte.Vor diesem Hintergrund läßt sich in ihrer Hinwendung zur Wand- bzw. Deckenmalerei eine konsequente Werkent-wicklung erkennen, mit der sie unverrückbare und zwingendere Beziehungen zwischen Architektur und Malerei eingehen möchte. Drei Räume konnte sie seit 1996 realisieren, die hier besprochen und miteinander verglichen werden sollen.
Die Problematik im Anerkennen des selbständigen Werkcharakters einer dekorativen Wandgestaltung als freie Malerei wurde mit dem ersten „Farbraum“ in der Kölner „Moltkerei-Werkstatt“ besonders deutlich. Denn weder fand etwas statt, noch wurde etwas Objekthaftes hineingetragen oder aufgehängt, vielmehr ließ die Deckenmalerei von Ines Hock den seit 1981 kontinuierlich für experimentelle Performance und Ausstellungen genutzten Raum in ungeahnter Schönheit erstrahlen.2 Die in Streifen aufgetragene, mehrfarbige Malerei der Decke erschien als Spiegelung des Fußbodens, der die Spuren häufiger Aktivitäten allzu sichtbar trägt und wurde zu einem zugehörigen Bestandteil der vorhandenen Situation. „Die räumliche Gegebenheit der Decke wird Malerei, die Malerei wird architektonisches Glied“, schrieb Ines Hock damals in einem vorbereitenden Konzept. Der Besuch dieser Ausstellung war die bloße Anwesenheit in einem leergeräumten Raum, dessen einladende Atmosphäre als Aufforderung zu verstehen war, ihn mit Leben zu füllen. Während die formale Symmetrie von Boden und Decke räumliche Festigkeit und konzeptuelle Klarheit erkennen ließ, vermittelte der tastende Farbauftrag in der Breite eines Pinselstriches einen fragilen Eindruck, der sich im Einklang mit der auf Gelb, Rot und Blau aufbauenden Farbigkeit als eine niemanden beherrschen wollende, heitere Grundstimmung verbreitete, die nur durch das Wissen um die temporäre Begrenztheit der Ausstellungssituation getrübt wurde.
Ein langer Tisch, ein abendfüllendes Essen in dieser Atmosphäre, das wär’s gewesen…
Daß diese Raumgestaltungen nichts und niemanden dominieren möchten, sich vielmehr wie selbstverständlich in die vorgefundene Situation einfügen, bestätigte die friesartige Wandgestaltung, die Ines Hock 1997 in einer Ausstellung im „Kunstwerk“ in Köln-Deutz in dem Durchgangsraum einer aufgegebenen Fabrik realisierte.3 Ihre umlaufende Bemalung des oberen Wanddrittels verhielt sich adäquat zu der abgelebten Atmosphäre der Architektur. In vertikalen Bahnen alternierten Gelb, Blau, Grün und Rot in einem derart blassen Farbauftrag, das es sich -wie bei einem unter vielen jüngeren Schichten freigelegten mittelalterlichen Fresko – eher um den Rest von Farbe, als um die Malerei selbst zu handeln schien. Der schmucklose und unauffällige Raum erhielt im gleichmäßigen Rhythmus der „vier Farben in vier Lasuren“ eine geradezu würdevolle Ausstrahlung, die, wenn nicht zum verweilenden Aufenthalt, so doch zum verhaltenen Durchschreiten anhielt. Die in dieser überdeckenden Behandlung der vier Grundfarben sich äußernde Tendenz zur Nichtfarbigkeit hat Ines Hock seit vielen Jahren in ihren Papierarbeiten vorbereitet. Darin findet sich das gesamte Repertoire ihrer schichtweisen Lasurtechnik wieder, die – wie in ihren Ölbildern – zunächst von der Beschränkung auf eine Farbe ausging, deren Tiefe und Intensität in mehreren Schichten aufgebaut wurde. Diese Beschränkung gab sie später zugunsten von Mehrfarbigkeit auf, die sie nun zum Teil auch in nur einer Schicht als Mischfarbe realisiert. Ihre Papierarbeiten, für die sie vorzugsweise Aquarellkarton verwendet, besitzen die Beiläufigkeit von Farbproben. Sie erlauben ihr auf unprätentiöse Weise Untersuchungen zu koloristischen und chromatischen Beziehungen, bei denen die genarbte Papierstruktur die Materialität der Wand ersetzt. Für beide Medien gilt, daß der darauf vorgenommene Pinselstrich nicht zu korrigieren ist, eine einmal gesetzte Lasur nicht wieder entfernt werden kann. Vielmehr gilt es, nach jeder aufgetragenen Schicht das Resultat als ein vorläufiges oder endgültiges anzuerkennen.
Mit der Aufforderung zur Gestaltung einer sehr eigentümlichen architektonischen Situation im 1997 neu erbauten Edith-Stein-Haus auf dem Siegburger Michaelsberg ergab sich erstmals die Gelegenheit zu einer dauerhaften Wandgestaltung, mit der dieser Ort in Zukunft zu identifizieren sein wird.4 In dem als Exerzitienhaus des Kölner Erzbistums genutzten Bau stand als freistehender Körper eine auf kreisförmigem Grundriß umlaufende Wand zur Verfügung, deren Ablauf an zwei in einer Achse liegenden Stellen von einer Glasfront unterbrochen wird, die einen Tagungsraum von einem davorliegenden Flurbereich abtrennt. Nach einigen großformatigen Vorentwürfen auf hängenden Papierbahnen und dem Bau eines Modells im Maßstab l: 100 wurde die Malerei über Ostern 1998 vor Ort realisiert. Als Ergebnis findet der Besucher dort nun eine Wandgestaltung vor, bei der ein zartes Indischgelb überwiegt. Während drei Bahnen in kräftigerem Rot eine horizontale Gliederung vornehmen, erzeugen blasse vertikale rötliche Streifen eine nahezu musikalische Schrittfolge auf der Wandfläche, die jedoch verhalten im Hintergrund bleibt. In der Reaktion auf die nicht zu simulierende Präsenz vor Ort blieb die Farbigkeit der Wand, anders als in den vorbereitenden Proben vorgesehen, in der Ausführung wesentlich heller und offener. In Verbindung mit dem nur von einer Seite einfallenden Tageslicht bewirkt allein die Rundung der Wandfläche ein enormes Volumen, das die lichte Farbigkeit stufenlos in eine dunkleTiefe überführt. Wie in den vorbereitenden Papierarbeiten läßt der Farbauftrag aufgrund der Lasuren die verschiedenen Pigmentanteile wechselweise hervortreten. Von der wolkigen Dichte dieser Wandgestaltung geht eine atmende Leichtigkeit aus, die sich besonders im Gegenüber der Architektur entfaltet. Deren Härte und Aufgeräumtheit, die von den im ganzen Bau verwendeten Materialien bestimmt wird -weißer Wandputz, Basalt- und Sisalböden, Eisen und Eichenholz -, setzt Ines Hock die unbestimmte Heiterkeit ihrer Farben, die Offenheit ihrer Lasuren und die wandernde Linie ihrer Handschrift gegenüber, die ihre Arbeit vergleichsweise unfertig erscheinen läßt. Anders als im abgelebten Deutzer Raum, aber mit vergleichbarer Intention, wirkt die Farbe in diesem auf Perfektion bedachten Umfeld nicht als Rest, vielmehr als Anfang. Dieser in beiden Entwürfen realisierte fragmentarische Charakter verlangt nach einer Ergänzung in der Auseinandersetzung durch den Betrachter. Der leicht glänzende Lackabschluß verleiht der Malerei eine unberührte Aura und schafft wie in den Gemälden eine durchlässig wirkende und dennoch schützende Haut. Schön zu wissen, daß diese Wand dem Wandel der Nutzung standhalten soll.
Für die Arbeit von Ines Hock ist der Anteil des Zulassen-Könnens womöglich wesentlicher, als der des Durchsetzen-Wollens. Ebensowenig wie sie sich in ihren Gemälden auf eine spezifische Behandlung von Farbe festlegt, vielmehr tendentiell und bis zu einem bestimmten Grad den Reaktionen ihren Lauf läßt, schafft sie mit ihren Wandgestaltungen eine beherrschende Definition der jeweiligen Räume. Sie betont die raumabschließende Funktion und die Körperhaftigkeit der Architetkur, ohne diese zu dominieren aber auch ohne sich deren Exaktheit und Anonymität anzunähern. Indem die individuelle Handschrift des geführten Pinsels ein wesentliches Merkmal dieser Wandmalerei bleibt, unterscheidet sie sich von funktionalistischen und konstruktiven Wandgestaltungen, die in der Nachfolge von De Stijl und Bauhaus eine Synthese von Architektur und bildender Kunst anstreben. Ausgehend von der Beiläufigkeit ihrer „Farbproben“ auf Papier, werden die Wandgestaltungen zu einem Bestandteil der vorgefundenen Situation, der seinen künstlerischen Werkbegriff nicht zur Schau trägt. Diese Absicht, „nicht zu wissen, daß es ein Kunstwerk ist“, so Ines Hock im Gespräch, unterscheidet Wandgestaltungen und Papierarbeiten vom eindeutigeren Objektcharakter ihrer Tafelbilder. Indem sie dem „Einfluß der Gegebenheiten“ folgt, führen ihre sensiblen Eingriffe nicht zu einer sich in den Mittelpunkt stellenden künstlerischen Besetzung der Räume sondern zu einer Bereicherung ihrer potentiellen Nutzung, die in der Wahrnehmung von Bedingungen ihren Anfang nimmt und das darin stattfindende Leben zum eigentlichen Inhalt hat.
1 Ines Hock, in: Kolumba. Ein Architekturwettbewerb in Köln 1997, Hg. vom Diözesanmuseum Köln, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 1997, S.95.
2 Farbraumarbeit, Moltkerei-Werkstatt, Einzelausstellung, Köln, 9. bis 18. Mai 1995; Bleistiftvorzeichnung, darauf Farbpigmente, eingerührt in Kleister: Gelb, Ocker, Rot, Braun, Blau; zwei Malschichten; Deckenfläche 78,5 qm.
3 ‚4 Farben, 4 Lasuren‘, „Kunstwerk“, Gruppenausstellung, Köln-Deutz, 9. bis 23. November 1997; Höhe der Wand 3,65 m, Höhe der bemalten Fläche 1,80 m, bemalte Wandfläche 27 qm.
4 o.T., Edith-Stein-Haus, Michaelsberg, Siegburg, ausgeführt Anfang bis Ende April 1998; Grundierung eingetönt Venetian-Red; Farbpigmente in Dispersion mit Kleister als Mattierungsmittel Alizarinrot hell, Cadmiumgrün hell, Prideritgelb, Neapelgelb rötlich, Paliotolgelborange; drei Lasuren; Transparentlacküberzug; Höhe der Wand 2,67 m, Wandfläche 36 qm.