| Farbe Pur, Museum St. Wendel, 2005
Für Ines Hock ist Farbe ein Material besonderer Qualität, eine Substanz, die sie in immer neuen Differenzierungen durch ihre Bilder sprechen lässt. In Anbetracht ihres Gesamtwerkes wird deutlich, was es heißt, Farbe »begreifen« zu wollen. Und dieses Begreifen der Farbe ist das, was die Kunst von Ines Hock auszeichnet: Ihre Bilder laden dazu ein, eigene Erfahrungen mit Farbe, mit Licht und mit Malerei zu machen.
Peter Sloterdijk bemerkte in einem ähnlichen Zusammenhang: »Was der Künstler in seiner Werkstatt bietet, ist nicht weniger als die Aufnahme in ein Paradies, in dem das älteste Glücksfluidum bis heute fließt: Aufmerksamkeit«. Fast könnte man meinen, er hätte beim Formulieren dieses Satzes tatsächlich die Bilder von Ines Hock vor Augen gehabt. Denn Aufmerksamkeit ist sowohl für das Entstehen als auch für das Betrachten ihrer Farbbilder essentiell. So schaffen und erfordern ihre Arbeiten eine meditative Atmosphäre, die zum Innehalten und aufmer ksamen Sehen einlädt.
Im Laufe der letzten fünfzehn Jahre hat Ines Hock eine nahezu monochrome, gleichzeitig aber sehr facettenreiche Malerei entwickelt, die von kräftigen opaken Bildern bis hin zu leuchtend transparenten Werken mit äußerst zurückgenommener Farbigkeit reicht. All ihren Arbeiten ist gemeinsam, dass sie im klassischen Sinne »bildleer« sind, also nichts anderes darstellen oder thematisieren als sich selbst. Und dieses »Selbst« ist die Farbe, verstanden als Ausgangspunkt der Malerei und mithin auch als Ausgangspunkt der Wahrnehmung. Ungeachtet aller werkimmanenten Nuancierungen bedient sich die Künstlerin hierfür eines speziellen Verfahrens: sie baut ihr Werk seriell auf, wodurch jedes Bild sowohl als Einzelbild als auch als Serie funktioniert.
Ein Blick in die Geschichte der modernen Kunst zeigt, dass gerade die Entwick lung und Radikalisierung des Prinzips der Serialität ein enormes künstlerisches Potential freisetzte und bis heute freisetzt. So wurde die bis ins 19. Jahrhundert gültige Vorstellung von der Einmaligkeit eines Kunstwerkes zuerst durch Bilder mit jeweils gleichem Sujet in Frage gestellt. Zu den Pionieren auf diesem Gebiet zählt Claude Monet, der circa ab 1890 das serielle Arbeiten für sich entdeckte und perfektionierte. Seine Studien zu den Heuschobern, der Kathedrale von Rouen bis hin zu den Seerosen demonstrieren, dass im Gegensatz zum traditio nellen Einzelbild nun nicht mehr allein das gegenständliche Inventar, sondern auch das Darstellen und die Farbe an sich Bedeutung erhielten.
In der Folge verfeinerten zahlreiche Künstler das Malen in Serie, so dass diese Bildform heutzutage zu den Standards des künstlerischen Ausdrucks im 20. Jahrhundert zählt. Eine Neuorientierung vollzog sich mit der Kunst der Nachkriegs avantgarde, in der die Idee vom rein seriellen Aufbau des Einzelwerkes entwickelt wurde. So trat an die Stelle des zuvor noch überwiegend gegenständlichen Bildinhalts – durch das strenge Wiederholen immer gleicher, reduzierter Formen – eine rhythmische Struktur aus identischen Elementen. Ein prominentes Beispiel hierfür stellen die ab 1949 entstandenen »Homages to the Square« von Josef Albers dar, von denen der Künstler bis zu seinem Tod über tausend Fassungen fertigte. Mit Josef Albers und Claude Monet sind gleichsam zwei historische Positionen benannt, die auch für Ines Hock intentional Bedeutung haben. Denn während ihre frühen, farbintensiven Arbeiten entfernt an die »Meditationsbilder« von Albers erinnern, scheinen ihre atmosphärisch leuchtenden Serien eine gewisse Affinität zu den Werken von Monet zu besitzen. Doch geht es der Künstlerin keineswegs um das Zitieren bekannter Formen und Motive. Im Gegenteil, ihre Bilder sind frei von historischen oder narrativen Bezügen und insofern in höchstem Grade unverstellt und authentisch. Zu Beginn ihrer künstlerischen Auseinandersetzung nahm Ines Hock – quasi analytisch – jeweils einzelne Farben in den Blick. Bei ihren zwischen 1989 und 1994 entstandenen Acryl- und Ölbildern zeigen die Bildflächen jeweils nur einen Farbton. Doch dieser erste Eindruck täuscht. An den Kanten lässt sich erkennen, dass unter der homogenen Farboberfläche bis zu zwanzig andersfarbige Schichten liegen können. Der Effekt ist verblüffend, da der Betrachter erst im Verlauf einer aufmerksamen Anschauung gewahr wird, dass das Gemälde lediglich seine Oberfläche preisgibt und dass das, was das Bild im Ganzen auszeichnet, eben nicht direkt wahrnehmbar ist. Diese Irritation bleibt auch dann bestehen, wenn man versucht, die Bildfläche näher zu enträtseln. So sind die Spuren der Herstellung auch hier klar ablesbar. Die Farbe wurde mit einem breiten Pinsel in immer gleicher Art aufgetragen: von links nach rechts, mit einer leichten ovalen Krümmung. Doch verwirrt auch diese Entdeckung, da die nahezu identischen, fast monoton wirkenden Pinselzüge dem Bild – wider Erwarten – keinen gestischen oder individuellen Charakter verleihen. Die Gemälde sind vielmehr »modellierte Konkretion[en] eines Farbtons«, die ganz wesentlich aus dieser bildinhärenten Dialektik zwischen seriell und individuell leben.
Ab Mitte der 1990er Jahre dominiert in den Arbeiten der Künstlerin zusehends eine lasierende Malweise, die erstmals Plastizität und Räumlichkeit evoziert. Zwar bestehen auch diese Bilder weiterhin aus übereinanderliegenden, nunmehr mit Leinöl gesättigten Schichten, allerdings nimmt die Anzahl der Schichtungen kontinu ierlich ab. Ines Hock erreicht dadurch, dass tiefere Ebenen an die Oberfläche treten, sodass der Eindruck von vor- und zurücktreten den Farbzonen unterschiedlicher Intensität entsteht. Indem sich dunklere Bildpartien optisch nach hinten und hellere nach vorne bewegen, wird ein räumlicher Effekt erzielt, der eben nicht auf einer perspektivischen Konstruktion, sondern auf den variierten Helligkeitswerten und den feinen farblichen Nuancierungen beruht. Auf den Bildoberflächen lassen sich nun auch keine Pinselspuren mehr entdecken. Die Arbeiten bestehen stattdessen aus lasieren den Texturen vertikaler und horizontaler Schichten, denen ein eigentümlicher Glanz zu Eigen ist, der die Farbe gleichsam entrückt und »schweben« lässt.
Einzeln betrachtet, behaupten sich diese Bilder jeweils als autarke Malerei: als Sache für sich, die im Raum steht und auf nichts anderes verweist als auf ihre konkrete Existenz. Als Teil einer Bildserie treten sie in einen übergreifenden, äußerst subtilen Farb-Dialog. Der Zusammenhalt einer jeden Gruppe ist durch das gleiche Format und die Machart gegeben, die Identität eines jeden Werkes bleibt wiederum durch den spezifischen Farbton und die Bildherstellung gewahrt.
Dass serielle Bilder nicht zwangsläufig an Individualität einbüßen, belegen darüber hinaus die von Ines Hock gewissenhaft geführten Bildlegenden. Die Genese eines neuen Werkes protokolliert sie in einer Art Tagebuch, in dem sowohl die verwendeten Farben als auch das genaue Datum ihres Auftragens verzeichnet sind. Hierdurch bleibt jede Arbeit an präzise Zeitpunkte gebunden und wird als absolut einmalig und unwiederholbar ausgewiesen.
Das Interesse an der Variation von Farbwerten und Farbkontrasten zieht in der Folge weitere Veränderungen nach sich. So setzen sich die jüngsten Bilder und Serien nur noch aus wenigen, hauchdünnen und nass in nass gemalten Farbschichten zusammen. Das opake Übereinander ist einem lichten, horizontal und vertikal verspannten Farbmiteinander gewichen, wodurch sich gemischte und reine Töne im Bild begegnen.
Auf der weiß grundierten Leinwand erheben sich immer wieder zarte, höchst dif ferenzierte Farbflächen, die miteinander korrespondieren oder ineinanderfließen. An den Nahtstellen dieser Flächen ebenso wie in den Flächen selbst, bilden sich gelegentlich fein gebrochene Übergänge. Sie verleihen den Bildern eine sanfte Rhythmik und eine eigenwillige Spannung. Die Töne scheinen auf der Fläche zu tanzen und das, was dem Auge hier geboten wird, ist ein melodisches, flüssiges und gleichzeitig mehrfach gebrochenes Farbschimmern.
Auch wenn sich mitunter gegenständliche Assoziationen einstellen – einige Bildpartien erinnern an Wolken, an Nebelschleier oder an impressionistische Helligkeit – lässt sich zu keiner Zeit ein konkreter Bezug dingfest machen. Der Effekt des Leuchtens ist allein mit der sinnlichen Qualität des Lichtes vergleichbar und entsteht, wie immer bei Ines Hock, einzig aus und durch autonom begriffene Farbe.
Manfred Schneckenburger bezeichnete Ines Hock im Rahmen einer Ausstellungseröffnung im Museum am Ostwall als »Malerin farbiger Lyrismen« und ihre Bilder als »Refugien gegen den oberflächlichen Konsum«. Tatsächlich kann man ihre Arbeiten weder abbildhaft lesen noch im Vorbeigehen konsumieren, man muss ihnen begegnen. Und dazu braucht es – im besten Sinne des Wortes – wahre Aufmerksamkeit.