| Farbe Pur, Museum St. Wendel, 2005
»Farbe Pur« nennt sich die Ausstellung von Ines Hock in St. Wendel, und tatsächlich konzentriert sich der Blick ganz auf den besonderen Reiz, die spezifische Wirkung einzelner Farben und auf die Wirkung der Farbe als Farbfläche und Farbraum. Die Bilder der Künstlerin stehen ganz in der Tradition einer Malerei, die sich seit etwa 100 Jahren vordergründig mit formellen Aspekten auseinandersetzt. Bis zur Erfindung der Fotografie hatte die Malerei die Aufgabe, Abbildungen im wahrsten Sinne des Wortes zu erstellen. Es war ihr Ziel, der Darstellung einen möglichst hohen Wiedererkennungswert zu verleihen. Später änderte sich dies. Nun war die Malerei gezwungen, sich eine neue Aufgabe zu suchen. In diesem Bemühen rückte die Thematisierung der eigenen bildnerischen Mittel relativ früh in den Vordergrund: die Wirkung der Farbe und die Zweidimensionalität der Bildfläche wurden wichtiger. Das »perfekte Bild« bedeutet nur sich selbst.
Doch nicht nur die Konkurrenz der Fotografie hat die Beschäftigung der Maler mit der Wirkung von Farben angeregt. Bereits vor 300 Jahren wurden sie von der Farbentheorie Isaac Newtons beeinflusst, die dieser 1704 in seinem Buch »Optics« veröffentlicht hatte. Newton hatte entdeckt, dass das weiße Licht nicht einfach, das farbige nicht komplex war. Er konnte nachweisen, dass das weiße Licht durch eine Mischung farbiger Lichtkomponenten entsteht – aus brechbaren Strahlen. Doch einflussreicher war die etwa 100 Jahre später, von Johann Wolfgang von Goethe entwickelte Farbenlehre, der davon überzeugt war, dass Newton sich geirrt habe. In seinen »Beiträgen zur Optik« versuchte er die Postulate der Newton’schen Theorie zu widerlegen. Natürlich irrte nicht Newton, sondern Goethe. Aber es ist nicht die Frage, wer sich geirrt hat, sondern vielmehr die, wie erfolgreich eine Theorie ist. Grundsätzlich hatte Newton recht mit seinen physikalischen Erklärungen, aber Goethe lehnte eine solche Betrachtungsweise ab, weil für ihn die Betrachtung der Natur als Einheit wichtig war. In seinen Studien untersuchte er nicht nur die Wirkungen des Lichts auf das menschliche Auge (und versuchte so dem Wesen des Lichts näher zu kommen), sondern er bezog das menschliche Auge als aktiven Faktor mit ein: die Frage nach der lebendigen Beziehung zwischen dem menschlichen Auge und dem Licht. Goethes »Zielgruppe« waren die Maler: Er wollte durch sein Werk ein neues Verhältnis zur Farbe schaffen. Aber im Grunde genommen kann man die Theorien Newtons und Goethes nicht miteinander vergleichen – Goethes Farbenlehre ist keine physikalische Theorie der Beschreibung des Wesens des Lichtes, sondern eine Theorie der Sinneswahrnehmung von Licht und Farben. Letztere gewann großen Einfluss. Wenn wir z.B. an William Turner oder an die Impressionisten denken, dann wäre eine solche »Malerei des Lichts« ohne diese Theorie über eine neue Weise des Sehens (subjektive Wahrnehmung, Empfindungen) kaum möglich gewesen.
Auch für Ines Hock ist nicht nur das Zusammenspiel von Farbe und Licht, sondern auch die menschliche Wahrnehmung essentiell. Sehen bedeutet: Mit dem Auge fühlen – ganz im Sinne Goethes. Die älteren Bilder in der Ausstellung thematisieren die Wirkung einer einzelnen Farbe. Diese ist so »massiv« aufgetragen, dass sich die Realität der Bildkörper mit der eigenständigen Präsenz der reinen Farbe vermischt. Dagegen löst sich die Farbe in den jüngeren Arbeiten fast auf: Unter einer »Haut« von Licht malt die Künstlerin weiche Farben – manchmal verwandte, aber durchaus auch kontrastierende – in Formen, die bei dem Betrachter Assoziationen an Wolken oder Wasserspiegelungen hervorrufen. In einigen Bildern sind Spuren von Pinselstrichen sichtbar, in anderen wiederum ist die Oberfläche glatt und samtig. Die Strenge, die die monochrome Malerei meistens auszeichnet, ist jetzt verschwunden; die Bilder haben, trotz der minimalistischen Formensprache, eine lyrische, persönliche Qualität. Sie sind eine subjektive Antwort auf die fast wissenschaftlichen Paradigmen, die sich im Bereich der »formellen« Kunst im Laufe der Zeit herauskristallisiert haben.
»Farbe Pur« – dieser Titel wird den schwarz-weiß Zeichnungen der Künstlerin natürlich nicht gerecht. Doch »pur« sind sie: Statt der Systematik der Farbe thematisieren sie die der Linie, und ebenso die menschliche Wahrnehmung, insbesondere die der Tiefe. Die Erkenntnis, dass ein »Bild« weder eine Illusion noch eine zweidimensionale Fläche ist, gilt sowohl für die Zeichnungen als für die Gemälde.