One could not count the moons that shimmer on her roofs or the thousand splendid suns that hide behind the walls (Saib-e-Tabrizi, 17. Jhd.)
Die Malerin Ines Hock (geboren 1960) entwickelt ihr künstlerisches Werk in Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der Wahrnehmungsphänomenologie. Die Grundlagen unserer sinnlichen Eindrücke liegen in der Funktion unserer Sinnesorgane und der neuronalen Weiterverarbeitung ihrer Reize auf der einen Seite, aber eben auch in den Gegenständen der uns umgebenden Welt. Deren Betrachtung ist untrennbar mit der Bewegung des Körpers und dessen räumlichem Empfinden verbunden. Nach einer ganzen Reihe von malerischen Interventionen im Raum wie im Kunsthaus Wiesbaden (2007) und in der evangelisch-reformierten Kirche Radevormwald (2008) sieht auch der Entwurf für die Frankfurter Commerzbank Plaza die Vitalisierung der Architektur durch eine Malerei vor, die in der Lage ist, die unterschiedlichen Facetten des Wahrnehmungsprozesses aus dem Bereich des Unbewussten in die Ebene des reflektierten Bewusstseins zu holen.
Hock arbeitet mit gestischen Pinselschwüngen in leuchtenden, transluziden Farben. Als Träger dient eine transparente Folie, aus der die einzelnen, zum Oval geschlossenen „Pinselstriche“ nach dem Trocknen aus geschnitten und auf Wänden und Glasfronten angebracht werden. Durch die Lichtdurchlässigkeit wird die Leuchtkraft der Farbe gesteigert. Aber auch die Struktur der Pinselspurentritt durch den Hinterglaseffekt kontrastreich, fast reliefartig hervor. Diese verblüffend plastische Wirkung verstärkt den Eindruck einer vibrierenden, vielfarbig schillernden Oberfläche. Ines Hock nennt diese einzelnen Elemente, die sie mal locker auf der Fläche verteilt, mal zu Gruppen zusammenfügt, „Individuals“, womit ihre unabhängige Wesensart treffend charakterisiert wird. Sie scheinen sich vom Trägermaterial zu lösen, und mal wie ein kaum zu bändigender Schwarm rotierender Ellipsen den Raum zu umkreisen, mal zu dichten Konglomeraten zusammengeballt ihr eigenes Zentrum zu bilden. Auch im Falle von Überschneidungen lassen sich die einzelnen Konturen trotz der Dünnhäutigkeit letztlich rekonstruieren: Die Farbfelder der Einzelformen verschmelzen niemals endgültig miteinander. Ihre Anordnung wirkt ebenso selbstverständlich wie flüchtig, wie ein erstarrter Moment aus dem Ablauf eines raumdurchmessendenTanzes.
The thousand splendid colors spiegeln den von der Architektur diktierten Rhythmus der strömenden Menge unter der Kuppel in einer räumlich und ästhetisch überhöhten Form. Sie markieren die licht-durchlässige Membran der Commerzbank Plaza, dabei gehören sie weder eindeutig zum Außenraum noch zum Innenraum – wie die Plaza selbst. Die gitterartige Struktur der Dachkonstruktion wird aufgebrochendurch Kreisformen, die ähnlich wie Himmelskörper über dem Horizont zu schweben scheinen. In den Maßstab des Gesellschaftlichen übertragen, visualisiert sich hier das utopische Modell einer beglückenden Architektur, wie es von Saib-e-Tabrizi in einem alten Text über die ehemals blühende Hauptstadt Afghanistans, Kabul, heraufbeschworen wird.