Die Künstlerin Ines Hock gestaltete im letzten Jahr den Kunstverein in Linz am Rhein in eine beeindruckende Farbraumskulptur um, die die Besucherinnen und Besucher gleich in das Erlebnis miteinschloss. Die Räumlichkeiten des Linzer Kunstvereins, die durch ihre doppelte Schaufensterfront und den lichten Eingangsbereich sowie teilweise durch Oberlichtfenster eine eigene Mischung an Tageslicht, manchmal Sonnenschein und Kunstlicht beinhaltet, wurde durch die von Ines Hock ge- stalteten Malereien auf Folien in ein Gesamtkunstwerk verwandelt. Die Folienarbeiten, die sie von der Decke abhängte, waren so im Raum verteilt, dass die Besucherinnen und Besucher zwischen den Bildern und damit in der puren Farbigkeit umherwanderten. Aber das Ereignis startete bereits vor dem Kunstverein. Wenn man auf dem Marktplatz in Linz ankam, leuchtete durch die nach außen gerichteten Schaufenster des Kunstvereins die Farbe bereits mit Macht in den Außenraum und lud ein, dieses Farbvolumen im Innern zu erleben.
Ines Hocks Malerei erschafft Gemälde, die mittlerweile nicht mehr dem klassischen Tafelbild entsprechen, sondern als Bildobjekte den Raum im Inneren wie den umgebenden Raum in der Architektur verändern und bisweilen auch den Außenraum über Fenster und Öffnungen infiltrieren.
Ines Hock arbeitet dabei mit den Eigenschaften und Möglichkeiten von Farbe im Dialog mit dem verwendeten Bildträger. Nachdem sie sich lange Zeit mit dem klassischen Leinwandbild oder auch dem Aquarell und dem Papier auseinandergesetzt hat, entwickelt sie in der jüngsten Zeit ihre Malereien auf transparenten Folien. Ines Hock knüpft mit ihren Werken an frühere Leinwandbilder aus den neunziger Jahren an, die allerdings noch ganz klassisch mit dem Bildträger eng verbunden sind. Diese älteren Arbeiten sind in unterschiedlichen Prozessen und durch langwierige malerische Schritte und Schichtungen entstanden, die sie nun mit der Arbeit auf den Folien gleichsam in einen unabschließbaren Vorgang der Wahrnehmung überträgt.
In dem Maße, in dem ihre Bildfolien in den Raum gehängt sind und so den Betrachter in ein Gesamtkunstwerk einladen, in dem er sich bewegt und durch seine eigene Körperlichkeit die Bilder verändert, neu sieht und immer wieder seinen Betrachter-Standpunkt wechselt, entsteht ein Kanon uneingeschränkter Farbigkeit, der die Malerei in ihren unterschiedlichen Gewichtungen als materielle wie immaterielle Erscheinung erleben lässt. Bemalte und scheinbar unbemalte Flächen entwickeln ein eigenes System von Farben, Strukturen und Dichtigkeiten, die die Bilder selbst fast wie Skulpturen wirken lassen. Die Transparenz der Folie ist nicht nur ein neutraler Hintergrund der Malerei, sondern tritt als solcher faktisch nicht in Erscheinung, außer wenn – wie bereits beschrieben – die Folien zu Spiegelungen und Reflektionen dienen. Die Malerei verwickelt den Betrachter in ein Labyrinth von Seh-Erlebnissen.
Ines Hock gelingt es, Orte der Farbe zu evozieren, die scheinbar im Raum selbst fassbar werden und sich von ihrem eigentlichen Bildträger vollständig abgelöst haben. Die Farbe ist ständig in einem Zustand der Verwandlung. Damit gelingt es ihr auch, die natürlichen Konditionen des Raumes mit einzufangen. Die unterschiedliche Wahrnehmung der Farbtemperaturen treten in besonderem Maße in Erscheinung und ermöglichen es, an einem Wechselbad von kalten und warmen Farberlebnissen zu partizipieren. Es gelingt ein stetiges Zusammenspiel von Gegensätzen und Kontrasten. Farbflächen harmonieren und konkurrieren miteinander und lösen neue Wahrnehmungen aus. Die Bildobjekte schaffen Farbbilder, die körperlos im Raum schweben und sich in entstofflichter Form immer wieder neu konstituieren. Der Wechsel des Tageslichtes, der Wechsel der Blickachsen und das unterschiedliche Zusammenspiel der Farbigkeiten wird zum übergreifenden Gesamtbild.
Ines Hock spielt in der Ausstellung in Linz auch mit Distanzen, indem sie bei den Bildern, die nicht frei im Raum hängen, sondern an den Wandflächen zu finden sind, einen Abstand zur Wandfläche vorgibt und damit einen Luftraum hinter dem Farbraum bildet, so dass auch hier die Farbigkeit vor der Wand und im Raum schwebt. Im hinteren Bereich der Präsentation, zeigt sie eine ihrer Videoarbeiten, in der ihre thematische Zuordnung zu Natur und Biologie erfahrbar wird und in dem ein Prozess aus der Natur gleichsam in ein farbiges Erlebnis gewandelt wird. Das Video „My Colors for You“ arbeitet mit der Farbabfolge der verschiedenen Grundfarben Gelb, Rot, Blau und Grün, die aus Bildern der Natur – wie einer Blume – entwickelt sind.
Der Duktus der Malerei ist in diesen Arbeiten auf Folie durchaus gestisch expressiv geworden, und wir erkennen den Pinselstrich und die Struktur der Setzung. Dieses besondere Spiel mit den stofflichen Eigenschaften der Farbpigmente ermöglicht der Farbigkeit eine noch stärkere Dominanz von dem Bildträger selbst. Wichtig ist in diesem Kontext, dass die Folienbilder letztlich keine Rückseiten haben, sondern von beiden Seiten unterschiedlich betrachtet werden können. Nicht nur die Spiegelbildlichkeit des Bildes im Raum tritt dabei in Erscheinung, sondern auch der Umstand, dass die Folie auf der hinteren Bildseite wie ein Schutzlack die Farbigkeit überdeckt und hier die Spiegelungen und Reflektionen ganz deutlich werden, während auf der gegenüberliegenden Seite die Farbe auf die glatte Folie gesetzt ist und hier die Farbmaterie den Folienglanz überdeckt und stofflicher wahrgenommen wird. Diese Doppelansicht von Vorder- und Rückseite, die sich in den Raum integriert, lässt den Betrachterinnen und Betrachtern die Freiheit, von jedem Standpunkt aus ein anderes und neues Bild zu gewinnen. Ines Hock gelingt so eine Wirkung von Malerei und Farbe, die sich gleichsam in den Raum ergießt und einen Ort zwischen Betrachter und Malerei schafft, der unabhängig vom Bildträger ist.
Wie außergewöhnlich und radikal dieses Kunstkonzept ist, belegen auch Fotos aus der Ausstellung, die die Spiegelung der farbigen Bilder durch das Sonnenlicht zeigen, das über die Fensterscheiben der Schaufenster hereinfällt. Jetzt entstehen farbige Bilder auf dem Boden – durch die Folien projiziert, wobei sich hier auch mehrere Bilder und Ansichten überlagern und eine Farbkomposition auf das Parkett des Ausstellungsraumes zaubert, die an die Umkehrung aller Naturgesetze denken lässt, als ob sich im Boden farbige Glasfenster nach draußen öffnen würden.
Ines Hock hat ihre künstlerische Arbeit mit dieser Installation in Linz am Rhein erweitert. Mit der Zuordnung der Farbe zu einem Malgrund, der selbst kaum in Erscheinung tritt, wirkt die Farbe als Materie, als Pinselstrich und als Dichte und wird von allen Seiten erfahrbar. Mit den Gestaltungen auf Folie verlässt die Malerei ihren angestammten Ort auf der Bildfläche und ent- wickelt sich als immaterielles-materielles Konstrukt gleichsam in der Luft und umfängt die Betrachterinnen und Betrachter, so dass ein unendliches Kontinuum an Farbsensationen entsteht.
Dr. Gabriele Uelsberg
Vorsitzende der Gesellschaft für Kunst und Gestaltung, Bonn